Neue Heimat Kanton Bern

Rund 3500 Flüchtlingesind im laufenden Jahr in den Kanton Bern gekommen. Sie ringen nach einem Alltag in der Fremde.

Text: Basil Weingartner und Anita Bachmann, Bilder: Valérie Chételat, Adrian Moser, Franziska Scheidegger

«Welcome to the casa», sagt Rami ­Saleeby. Mit einem ironischen Grinsen im Gesicht mimt der junge Syrer den stolzen Gastgeber. Seit rund zwei Wochen lebt der 27-Jährige in der Lysser Industrie­zone in einem rudimentär eingerichteten Armeezelt – eine temporäre Asylunterkunft des Kantons. Jeder der rund zehn Bewohner des «Hauses» hat eine Pritsche und eine hölzerne Truhe, in der die wenigen Habseligkeiten verstaut werden können.

«Temporär im Zelt zu leben ist für mich kein Problem», sagt der charmante Saleeby. Wie alle Bewohner der zehn Zelte hoffe er, dass die Unterbringung im Zelt einzig eine Übergangs­lösung sei. «Wir fürchten uns vor dem kalten Winter.» Kalt im Zelt ist es bereits jetzt. Es wird zwar von externen Holzschnitzelheizungen über Luftschläuche gewärmt, doch die Heizung laufe häufig nicht, sagt Saleemy, der in seiner Heimat Theaterdramaturgie studiert hat. Wie alle trägt er im Zelt eine Jacke.

Viel zu tun gibt es für die jungen Männer nicht. Doch Saleeby ist sprachgewandt und arbeitet deshalb punktuell als Übersetzer für seine Landsleute. Die Verständigung unter den Zeltbewohnern ist schwierig. Nur wenige sprechen Englisch. Niemand spricht Deutsch. Sprachkurse würden dereinst angeboten, habe die Zentrumsleitung versprochen.

Sarkasmus und Hoffnung

Erst vor einem Monat ist Saleeby in die Schweiz gekommen. Bei einem Bombenangriff in Damaskus seien zwei Brüder im Haus der Eltern getötet worden, der dritte Bruder sei politischer Häftling, erzählt er. «Ich musste weg.» Am mazedonischen Grenzübergang sei geschossen worden. «Ich bin gerannt wie Forrest Gump», sagt er in Anspielung auf die bekannte, dauerlaufende Filmfigur. Bei allem Sarkasmus: Saleeby hat den Glauben an seine Zukunft nicht verloren. Letztere will er an der Seite seiner Verlobten verbringen. Sie lebt bereits als vorläufig Aufgenommene in der Schweiz. Und so hat auch Saleeby hier Asyl beantragt. «Die meisten Syrer wollen nach Deutschland oder Schweden», sagt er.

Die ersten drei Wochen verbrachte Saleeby im Aufnahmezentrum in Kreuzlingen. Landesweit gibt es fünf solche Zentren. In diesen werden alle Neuankömmlinge von Mitarbeitern des Staatssekretatriats für Migration (SEM) befragt. Dabei werden die Personalien aufgenommen, aber auch erste Fragen zu den Fluchtgründen und zur Flucht gestellt.

Nachdem die Asylsuchenden einem Kanton zugeteilt worden sind – der Kanton Bern muss 13,9 Prozent aller Asylbewerber übernehmen –, findet ein zweites, meist abschliessendes Interview im SEM in Wabern statt. Dort gibt man sich über den genauen Inhalt und Ablauf der Befragungen wortkarg. Man wolle den ­Flüchtlingen nicht zu viele Anhaltspunkte geben, so ein Sprecher. Schliesslich gelte es, die Flüchtlinge «abzuklopfen» und eingehend zu prüfen, ob deren Schilderungen «stichfest und schlüssig» seien.

«In den Asylanhörungen herrscht eine spezielle Stimmung», sagt Franziska Marfurt. Die 29-jährige Studentin der Sozialanthropologie und Islamwissenschaft ist regelmässig bei den Interviews dabei. Sie arbeitet zwei Tage pro Woche als Hilfswerkvertreterin für das HEKS. Solche sind seit 1969 bei jedem Gespräch fixer Bestandteils des Teams – neben dem Befrager, einem Protokollführer und einem Übersetzer. Finanziert werden sie vom SEM, ausgebildet von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH).

«Während der Befragungen bin ich eine neutrale Beobachterin», erklärt Marfurt. «Bei Bedarf kann ich direkt intervenieren oder auch selbst Fragen stellen.» Wenn ein Flüchtling offensichtlich traumatisiert ist, verlange sie etwa, dass dies im Protokoll festgehalten wird. «Meistens geschieht dies aber von selbst.» Grundsätzlich hänge viel vom Befrager ab, dessen Einstellung. «Das ist schon etwas willkürlich», sagt Marfurt. Ebenso, dass nicht alle Übersetzer dieselben Sprachfähigkeiten hätten. Das SEM fordert von den Übersetzern das Sprachniveau B2. Gemäss Definition liegt ein «kompetenter Sprachgebrauch» aber erst ab Niveau C1 vor.

Weinende Übersetzer

Marfurt verfasst nach jeder Anhörung einen Mitbericht. Dieser ist etwa bei ­einem Rekurs gegen einen negativen Asylentscheid von Bedeutung. Der Einfluss der Hilfswerkvertreter sei zwar begrenzt, deren Anwesenheit aber gleichwohl wichtig, sagt Marfurt. Ihre Aufgabe ist anspruchsvoll. So dauern die intensiven Befragungen zwischen einem halben und einem ganzen Tag; die Schilderungen sind zudem oft belastend. «Hin und wieder muss ich mir unauffällig eine Träne wegwischen», sagt Marfurt. Auch die Übersetzer müssten hin und wieder weinen.

Das Asylverfahren dauert derzeit zwischen einem halben und mehreren Jahren. Die langen Fristen seien ein Unding, sind sich die Experten einig. Das eidgenössische Parlament hat deshalb eben beschlossen, die Verfahren zeitlich massiv zu straffen. Ob die Neuerung 2019 in Kraft treten kann, ist unklar: Die SVP hat angekündigt, gegen die Neuerung das ­Referendum zu ergreifen. Die Erfolgs­aussichten im Asylverfahren hängen stark vom Herkunftsland der Flüchtlinge ab. Kein einziger Nigerianer hat im laufenden Jahr einen positiven Entscheid erhalten; bei Syrern beträgt die Quote 34,9 Prozent. Im Durchschnitt erhielt jeder vierte Asylbewerber Asyl; ein zusätzliches Drittel darf als «vorläufig aufgenommen» in der Schweiz bleiben.

Überforderter Kanton Bern

Der vergleichsweise tiefen Anerkennungsquote wegen, flüchten gerade Syrer weiter nach Deutschland und Schweden. Dies trägt dazu bei, dass die Flüchtlingszahlen in der Schweiz im internationalen Vergleich bisher nur moderat angestiegen sind.

Im Kanton Bern beträgt der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr rund 15 Prozent. In den Jahren des Bosnien-Kriegs Ende der 1990er-Jahren waren die Zahlen aber noch einmal 50 Prozent höher als heute. Gleichwohl haben die bernischen Behörden zurzeit grosse Mühe, Unterkünfte für die Flüchtlinge bereitzustellen. Dies auch, weil sich die Gemeinden teilweise vehement und mit rechtlichen Mitteln gegen ein Asylzentrum auf ihrem Boden gewehrt haben.

Als Folge davon hat der Kanton nun erstmals Flüchtlinge in Zelten untergebracht. Kantonsweit gibt es zurzeit 30 Asylunterkünfte. In ihnen leben 2887 Asylbewerber. Manche von ihnen für mehrere Monate, manche auch für mehrere Jahre. Ein Teil der Flüchtlinge lebt in einer der sechs Notunterkünfte. Diese befinden sich in unterirdischen Zivilschutzanlagen. Die umstrittenste davon ist diejenige im Hochfeld in der Berner Länggasse. Seit sie Anfang 2012 in Betrieb genommen wurde, gibt es immer wieder Kritik. Etwa an den Lebensbedingungen «im Bunker» oder am Dauerbetrieb des Provisoriums. Im Lauf der Jahre gaben etwa auch der Alkoholkonsum und die Kriminalität in der Unterkunft zu reden.

Die Anlage ist zurzeit voll belegt. Hundert meist sehr junge Männer leben dort. Sie kommen aus Eritrea, Afghanistan, Irak oder Syrien. Am frühen Nachmittag duftet es nach Essen; ein Fernseher läuft mit laut aufgedrehtem Ton. Einige Männer sind noch in der Küche beschäftigt. Andere sitzen an einem Tisch und binden kleine Holzschnitzel zu Bündeln, die als Anfeuerhilfe verkauft werden. Mit dieser Arbeit im Rahmen der gemeinnützigen Beschäftigungsprogramme können die Asylbewerber ein bisschen Geld verdienen.

Mitten in diesem lebendigen Treiben steht Michel Jungo, der Leiter des Asylzentrums. Er arbeitet seit zwei Jahren im Hochfeld, davor leitete er unter anderem ein freiburgisches Durchgangszentrum und betreute Flüchtlinge im Bundeszentrum auf dem Jaunpass. Der Druck von aussen sei im Hochfeld viel stärker als an den früheren Arbeits­orten, sagt Jungo. «Es ist nicht einfach, bei der negativen Berichterstattung die Arbeitsmoral hochzuhalten.»

Er und sein Team müssen die Beschäftigungsprogramme organisieren, die Reinigungsarbeiten im Zentrum auf die Bewohner verteilen, Arzttermine organisieren oder Asylsuchende beim Finden einer Wohnung unterstützen. «Das sieht einfach aus, aber wir müssen für 100 Leute alles koordinieren», sagt er. «Jeder Arbeitstag verläuft anders.» Der Kontakt zu den Bewohnern sei spannend. Eine richtige Beziehung könne er aber nicht aufbauen.

Die Schicksale der Bewohner will er nicht unbedingt genauer kennen: «Nähe und Distanz ist eines der grössten Themen bei unserer Arbeit», sagt Jungo. Natürlich gäbe es Geschichten, die ihn auch in der Freizeit noch beschäftigten. Illusionen mache er sich aufgrund seiner Erfahrung nicht. «Es ist falsch zu glauben, man könne für die Leute viel bewirken.» Man könne ihnen ein gutes Gefühl und Sicherheit vermitteln und sie begleiten. Aber schliesslich sei es ein Asylverfahren, und darauf habe er keinen Einfluss.

Unweit des Hochfelds steht im Berner Länggassquartier ein Wohnhaus mit Garten. In der Stube sorgt ein Cheminée für Gemütlichkeit, es gibt ein Klavier, eine Plattensammlung und Stuck an der Decke. Als die Kinder ausgezogen sind, lebte das Ehepaar Weiss alleine – zumindest bis vor bald drei Jahren. Heidi Weiss unterrichtet freiwillig Flüchtlinge in Deutsch. So hat sie Rodeng Abbas kennen gelernt. Der 27-jährige Syrer flüchtete 2012 in die Schweiz. In der Notunterkunft Hochfeld habe er sich nicht wohl gefühlt, sagt Heidi Weiss. Deshalb habe sie ihn gefragt, ob er ein Zimmer in ihrer Wohnung beziehen wolle. Ihr Ehemann Hans Weiss war sofort einverstanden gewesen, und auch Abbas musste nicht lange überlegen. Anfang 2013 zog er bei der Familie Weiss ein. Inzwischen bewohnt er gemeinsam mit seinem 17-jährige Bruder, der später alleine in die Schweiz geflüchtet ist, ein Zimmer.

Das Projekt der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, das die Unterbringung von Asylsuchenden bei Privaten fördern will, ist harzig angelaufen. Bisher konnten im Kanton Bern nur vier Familien gefunden werden. Doch Heidi Weiss sagt, eigentlich sei es überhaupt nicht kompliziert gewesen, Abbas aufzunehmen. Sie habe lediglich einen Mietvertrag mit ihm abschliessen müssen, den er im Hochfeld vorweisen musste. «Der Zentrumsleiter hat sich sehr für mich gefreut», sagt Rodeng Abbas.

Das «geteilte» Badezimmer

Der Syrer profitiert von seiner Wohnsituation. Er hat schnell und gut Deutsch gelernt. Nächsten August beginnt er eine Lehre als Plattenleger. Asylbewerber können nach einer dreimonatigen Wartefrist eine Arbeitsstelle annehmen. Ohne Unterstützung durch Dritte ist es für sie aber schwierig, im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. «Durch die Familie habe ich zudem schnell Freunde gefunden», sagt Abbas.

Aus dem Umfeld der Familie Weiss gab es aber auch kritische Bemerkungen. «Jetzt müsst ihr ja das Badezimmer teilen», habe jemand gesagt, erzählt Hans Weiss. Er und seine Frau hätten nur positive Erfahrungen gemacht. Er sei ein geselliger Mensch und empfinde es als angenehm, wenn jemand in der Wohnung sei, wenn er nach Hause komme. Irgendwann werden die beiden Brüder ausziehen. «Es kann sein, dass wir dann wieder jemanden aufnehmen», sagt Heidi Weiss. Ein wichtiger Punkt sei aber, dass man sich vorher kennen lerne, wie dies bei Abbas der Fall gewesen sei.

«Chömet zu mir Giele», ruft Ulrich ­Neuenschwander über den von Flutlicht beleuchteten Fussballplatz am Rande von Langnau. Der Präsident des lokalen Fussballclubs ist auch Trainer der A-Junioren des Vereins. Als Vorbereitung auf das anstehende Spiel gegen Koppigen stehen taktische Übungen auf dem Programm. Kurz und knapp erklärt Neuenschwander die teils komplizierten Übungen. Und schon geht es «los, Gielä». Für einmal ist es für Ramadan, einen der jungen Fussballer, etwas zu schnell gegangen. Bei der Übung spielt er den Ball auf der falschen Seite der vom Trainer aufgestellten Verkehrspylone vorbei. Aufmunterndes Schulterklopfen der Mitspieler.

Ramadan ist vor wenigen Monaten ohne Eltern in die Schweiz geflüchtet. Der 16-Jährige versteht die Anweisungen aber schon erstaunlich gut. Wenn nicht, hilft ihm sein Teamkollege Abdi-Salam weiter, der gut Deutsch spricht. «Beim FC Langnau lerne ich nun auch Berndeutsch.» Die beiden Heranwachsenden stammen aus Somalia; beide sind sie ­allein fern der Heimat.

Immer häufiger sind Jugendliche oder gar Kinder ohne Erwachsene auf der Flucht. Allein im Kanton Bern befinden sich derzeit 116 unbegleitete Minderjährige im Asylprozess (UMA). Sie sind in drei speziellen Zentren in Belp, Grindelwald und Bärau untergebracht – aber auch bei Familien.

FC Langnau und Real Madrid

«Seit dem 1. Januar 2014 bin ich in der Schweiz», sagt der 17-jährige Abdi-Salam. Er absolviert das zehnte Schuljahr und ist auf Lehrstellensuche. Zu Beginn lebte er im Durchgangszentrum in Bärau, in dem heute Ramadan wohnt. Nun lebt er allein in einer Wohnung. Nach dem Training knurrt ihm der Magen. Zwischen der Schule und dem Training blieb einzig Zeit zum Einkaufen. «Nachher koche ich mir Pasta», sagt er lachend.

Die beiden jungen Somalier sind nicht die einzigen UMA, die im FC Langnau mitspielen. «Wir bieten pro Mannschaft zwei oder drei Plätze an», sagt Präsident Neuenschwander. «Das funktioniert sehr gut.» Auch fussballerisch sind die UMA oft eine Verstärkung. Abdelsalam und Ramadan trainieren nicht nur mit grossem Einsatz, sondern streuen auch immer wieder technische Kabinettsstückchen ein.

Sie sind keine Anfänger. «Fussball funktioniert überall auf der Welt gleich», erklärt Abdelsalam. Ramadan hat derweil grosse Pläne. Solche, wie sie unzählige junge Männer weltweit haben. Er will Berufsfussballer werden – «bei Real Madrid, wie Cristiano Ronaldo». Das Spiel gegen den Tabellenletzten Koppigen gewinnt Langnau am folgenden Sonntag mit 5:1. Die schwierigere Prüfung ist das laufende Asylverfahren: Abdi-Salam und Ramadan hoffen, Asyl zu erhalten oder zumindest vorläufig in der Schweiz aufgenommen zu werden.

Die tibetische Familie Gatrotsang-Kenchungtsang kann in der Schweiz bleiben – zumindest vorläufig. Wenn sich die ­Situation in der Heimat verbessert, müssen sie als vorläufig Aufgenommene die Schweiz aber wieder verlassen. Die vierköpfige Familie lebt in einer einfachen, sehr gepflegten Wohnung in Ostermundigen. «Die ersten Jahre in der Schweiz waren sehr hart», erinnert sich der Vater. Erst nach mehreren Jahren habe er einen negativen Asylentscheid erhalten. Er ­rekurrierte mit Erfolg dagegen. Dann fand er eine Arbeit als Küchenhilfe im ­Interlakner Luxushotel Victoria Jungfrau; heute arbeitet er in der Küche des Inselspitals. Seine Frau arbeitet als Pflege­helferin in einem Altersheim; die ­ältere Tochter hat eine KV-Lehre absolviert.

Nyima, die jüngste Tochter, kennt die Heimat ihrer Eltern einzig aus Erzählungen. In der Schule erzählt sie dennoch oft davon, wie die Lehrerin am Elternabend erzählt. Die Familie ist gerne in der Schweiz. Die Sehnsucht nach der alten Heimat und die Ungewissheit wegen des Aufenthaltsstatus trüben das Glück in der neuen Heimat, erzählt Mutter Yangchen.

Nicht alle Asylsuchenden können bleiben. Wer nach einem negativen Asylentscheid nicht ausreist, landet im Gefängnis. In den letzten Jahren sassen laut ­Bundesamt für Statistik schweizweit über 300 Personen in Ausschaffungshaft. ­Einer davon ist Nwosu Chimankpam Chukwujindu. Der 42-jährige Nigerianer ist im Regionalgefängnis Burgdorf inhaftiert. Er sitzt nicht zum ersten Mal in Ausschaffungshaft: 2012 war er bereits einmal nach Nigeria ausgeschafft worden.

Das Besucherzimmer im Gefängnis Burgdorf ist ein schlichter Raum. Gegenüber am Tisch sitzt Chukwujindu, ein trauriger Mann mit einer leisen, etwas heiseren Stimme und geröteten Augen. «Das ist vom Weinen. Ich weine so viel», sagt er.

Rasierklingen verschluckt

2010 kam Chukwujindu erstmals in die Schweiz, weil er in Nigeria Probleme hatte, wie er sagt. Nach der Rückschaffung reiste er im Flugzeug nach Frankreich und stellte erneut einen Asylantrag. In Biel wollte er Dokumente holen, die er für eine Einvernahme bei der französischen Polizei wegen seiner Aktivitäten als Pastor benötigt hätte, sagt er. Auf der Rückreise im Zug wurde er kurz vor Basel erwischt und in Ausschaffungshaft gesteckt. Es ist nicht zu überprüfen, ob die Geschichte, die Chukwujindu erzählt, stimmt. Dass er sich aber nichts zuschulden hat kommen lassen ausser seiner ­illegalen Anwesenheit in der Schweiz, bestätigt die Leitung des Regionalgefängnisses Burgdorf.

«Ich weiss nicht, warum ich hier bin», sagt er. In einem Brief sei ihm mitgeteilt worden, dass er nach Frankreich zurückgeschafft werde. Auf einen Rekurs habe er verzichtet, weshalb er nicht verstehe, warum er immer noch hier sei. Gut möglich, dass seine Ausschaffung unangemeldet erfolgen wird. In heiklen Fällen wird auf eine Ankündigung verzichtet, weil sich viele Verletzungen zufügen oder in einen Hungerstreik treten, um die Ausschaffung zu verhindern, sagt Romilda Stämpfli, stellvertretende Leiterin des Regionalgefängnis Burgdorf. «Viele spielen zwar etwas vor», sagt sie. In einigen Fällen stecke aber ­tatsächlich etwas dahinter. «Es gibt alles, von Batterien essen bis Rasierklingen ­verschlucken.»

Chukwujindu steht auf, die Gesprächszeit ist um. Ein Wärter holt ihn ab und bringt ihn in seine Zelle.

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Neue Heimat Kanton Bern
  1. Section 1
  2. Lebensverändernde Befragung
  3. «Professionelle Distanz wahren»
  4. Eine besondere WG
  5. «Chömät Gielä»
  6. Zweite Heimat gefunden
  7. In der Ausschaffungshaft